Und jedem Ende wohnt ein Anfang inne, sinniert Hermann Hesse. Es zweifelt inzwischen keiner mehr, dass das Finanzsystem und die globalisierte Wirtschaft, so wie wir sie die letzten Jahre kannten, an ihre Grenzen gestoßen sind. Um so mehr verwundert es, dass Konjunkturprogramme und Rettungsaktionen der Regierungen in eine Revitalisierung dieser gescheiterten Strukturen investieren.
Es vollzieht sich eine Kulturtechnik, die wir aus der Medizin kennen. Der mitteleuropäische Mensch stirbt heute keines natürlichen Todes mehr, er stirbt den industriellen Tod. Maschinen, Chemikalien und menschliche Hilfe halten den Körper solange am Leben, bis die Grenzen der medizinischen – sprich industriellen – Machbarkeit erreicht sind. Erst dann ist es dem Menschen erlaubt, unvermeidlich zu sterben.
Dieser Umgang mit dem Tod entspringt einer Mischung aus naturwissenschaftlichem Weltbild und durchökonomisierter Medizin. Naturwissenschaft in verschwiegener Bruderschaft mit dem Ingenieur setzt alles, was technisch möglich ist, auch technisch um. Die Atombombe und die Nanotechnik mit ihren unabsehbaren Konsequenzen seien hier als Negativbeispiele aufgezählt. Der Umgang der Medizin mit dem Tod als eine praktizierende Naturwissenschaft folgt einer langen Tradition.
Die gleiche Kulturtechnik erfährt nun die Wirtschaft. Firmen – die Körper der Wirtschaft – werden solange erhalten, bis die Grenzen der politischen Machbarkeit erreicht sind. Ob die gerade von der Politik bevorzugten Mechanismen des Keynsianismus und Protektionismus wirken, kann keiner der politisch Verantwortlichen abschätzen. Einen derartigen Eingriff in die Wirtschaft gab es noch nicht und alle Theorien orientieren sich an einem historischen wirtschaftlichen Umfeld, das weder vergleichbar noch wiederholbar ist.
Liest man Naomi Kleins Bestseller Schocktherapie, so lernt man, dass wirtschaftliche und politische Katastrophen der ideale Ausgangpunkt für radikale Erneuerungen sind. Bei Naomi Klein sind dies die neoliberal umgestalteten Gesellschaften seit den 70er Jahren und die Lektüre erweist sich als höchst instruktiv, jedoch nicht immer als Freude. Aber die Botschaft ist klar: Die Katastrophe dient als Keim der Erneuerung und als Rechtfertigung für ungewöhnliche Schritte. Dass diese ungewöhnlichen Schritte möglich sind, zeigen die immensen Summen, mit denen Konjunkturprogramme und Rettungsaktionen umgesetzt werden. Geldbeträge, die jeden Bezug zur Realität der Wählerinnen und Wähler verloren haben, werden umverteilt und in Strukturen investiert, die sich aufgrund ihrer wirtschaftlichen Notlage als schwer überlebensfähig erwiesen haben.
Man wundert sich über die Innovationsmüdigkeit der Regierenden, liegen ihnen doch soviele Ideen und Utopien zu Füßen. Im folgenden sollen drei Ideen aufgezählt sein, die nicht neu sind und die das Potenzial haben, unsere Zukunft nachhaltig umzugestalten und unsere Wirtschaft mit neuen Aufgaben zu beleben.
1. Solarenergie gegen die Erderwärmung
Die Abkehr von fossilen Brennstoffen als Energielieferant ist bereits ein wesentlicher Bestandteil deutscher Politik. Bezieht man die Atomenergie mit ein, könnte man von einer Abkehr von terrestrischen Energieressourcen sprechen. Aber was ist mit den sogenannten erneuerbaren Energien? Sind sie nicht auch ein Eingriff in die Natur bzw. die natürlichen Prozesse des Planeten? Es gehört ein gutes Stück Romantik dazu, noch von natürlichen Prozessen zu reden, nachdem der Mensch diesen Planeten seit Jahrtausenden umgestaltet. Aber will man den Energiebedarf in großem Maßstab durch erneuerbare Energien decken, bleibt weiterhin der Eingriff in planetare Prozesse bestehen, deren Folgen wir mit unserem heutigen Wissen nicht absehen können. Wasserkraft bringt ökologische Schäden, als Extrembeispiel sei der Dreischluchtenstaudamm genannt. Windkraft entzieht dem Wind lächerlich wenig, aber beständig Energie und stört die Zugvögel und die Anwohner. Bioethanol aus Pflanzen gefährdet die globalen Nahrungsmittelmärkte, Holzpellets zerstören die Wälder, Erdwärmeprojekte lösen Erdbeben aus.
Als Alternative bleibt die Solarenergie, die beständig und kostenlos zur Verfügung steht. Die großindustrielle Erzeugung von Solarenergie hat dabei einen ökologischen Nebeneffekt. Sie verlangsamt die Erwärmung der Erdatmosphäre, da Sonnenenergie entzogen wird. Die aus der Sonne gewonnene Energie wird zwar zum größten Teil wieder in Wärme umgesetzt (Heizung, Reibungswärme bei der Fortbewegung), aber ein nicht geringer Teil wird als elektromagnetische Strahlung (Mobiltelefon, Rundfunk) wieder ins Weltall abgeben. Um genau diesen Anteil wird sich die Erderwärmung durch Gebrauch von Sonnenenergie abschwächen.
Die technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit großer Solarkraftwerke in den Wüstenregionen von Amerika und Afrika wurde in Studien längst bestätigt. Nun kommt die Aufgabe der Politik, die Umsetzung zu fördern. Auch hier bietet die Wirtschaftskrise mit ihren voltierenden Erdölpreisen und gesperrten Gasleitungen die Gelegenheit, bisher politisch Unmögliches zu ermöglichen. Ziel sollte die völlige Unabhängigkeit von planetaren Energieressourcen sein.
So wie jetzt in den Ausbau der Internetinfrastruktur inverstiert wird, kann der Ausbau der Stromnetze gefördert werden. Die lange geforderte wirtschaftliche Trennung von Stromnetzen und Energieerzeugern ist dem nicht nur förderlich, sondern im Interesse aller Beteiligten. Die Stromnetze könnten in eine (teil-)staatliche Struktur überführt werden, wobei die staatliche Beteiligung nicht nur das Tor für die staatliche Investition in diese Struktur ermöglicht, sondern gleichzeitig das Grundrecht auf Energieversorgung absichert. Dem Energieversorger werden Investitionen in das Stromnetz abgenommen. Das gesparte Kapital können die so gewandelten Energieerzeuger in das neue Geschäftsfeld der Energiespeicherung fließen lassen, das durch die Abhängigkeit vom Sonnenlicht zwangläufig kommt. Den Energiekonzernen eröffnen sich neue Geschäftsmodelle durch die Trennung von Energieerzeugung und Energieverkauf.
Die Politik ist hier aber nicht nur als Investitionsmotor zu verstehen, sondern muss mit ihrem außenpolitischen Verstand den Weg für globale Energieerzeugung und internationalen Energietransfer bereiten. Innenpolitisch ist der Rahmen für die regionale Energieerzeugung und -speicherung zu schaffen, sowie mit geeigneten Investitionsprogrammen zu unterstützen.
2. Das Elektroauto kommt bestimmt
Alle großen Autohersteller entwickeln elektrisch angetriebene Autos. Die ersten Serien sind in Produktion, die völlige Umstellung auf Elektroautos ist absehbare Zukunft. Die Mineralölindustrie sieht sich vor einer der größten Herausfordungen ihrer Geschichte. Sie sollte ihr Geschäft nicht mehr als Mineralölerzeuger und -händler begreifen. Ihr Geschäftsfeld ist die Bereitstellung von Energie für Mobilität. An Tankstellen werden Autos mit Energie versorgt, die Energieform spielt keine Rolle.
Die Politik ist gefragt, den Rahmen für die elektrische Revolution des Autos zu schaffen. Politiker, Autohersteller, Mineralöl- und Stromkonzerne sollten sich auf einen Standard für das Aufladen von Elektroautos einigen. Die Steckdose zu Hause funktioniert als Stromlieferant, aber durch Ausbau der Tankstellen mit Starkstrom für das schnelle Aufladen oder billigerem Strom können Anreize geschaffen werden, den Autofahrer weiterhin zur Tankstelle zu bewegen. Eine flächendeckende Ausstattung mit Stromtankstellen ermöglicht die Benutzung des Elektroantriebs auch auf größeren Strecken.
Autoindustrie und Tankstellen stecken in einem klassischen Henne-Ei-Problem: Die Autohersteller entwickeln und verkaufen Elektroautos nur sehr zögerlich, da diese nicht die Reichweite eines Benziners haben und deswegen von vielen Käufern nicht akzeptiert werden. Die Tankstellen wiederum zögern mit einem Ausbau ihrer Tankstellen zu Aufladestationen, weil kein Standard für das Aufladen existiert, es deswegen keine preiswerte und universelle Aufladetechnik gibt und weil zuwenig Elektroautos unterwegs sind.
An dieser Stelle ist ein Investitionsprogramm gefragt, das die Einführung und die unwirtschaftlichen ersten Jahre einer neuen Technologie unterstützt. Dabei kann die Unterstützung breit angelegt werden und dem Autohersteller, dem Käufer und den Tankstellen zugute kommen.
3. Bildung als Exportartikel
Grundlage jeder Gesellschaft ist die Verbreitung und der Konsum von Information. Der Umfang und die Zugangsmöglichkeit zu Informationen entscheiden über die Eigenständigkeit von Individuen genauso wie von Nationen. Um die aufgenommenen Informationen be- und verwerten zu können, bedarf es Bildung, die ihrerseits schon ein Konsumprozess ist.
Die Zeit ist reif, Arno Schmidts Idee der Kulturfreistätten aufzugreifen – Orte, die das kulturelle Erbe der Welt aufbewahren und verwalten. Arno Schmidt dachte dabei sehr materiell – und damit unausführbar. Doch gewinnt seine Utopie eine neue Qualität, denkt man sie in virtuellen Räumen. Dort können Objekte aller Epochen nebeneinander verweilen. Für die virtuelle Aufbewahrung eindimensionaler (schriftlicher) und zweidimensionaler (grafischer) Objekte steht die Technik zur Verfügung. Dreidimensionale virtuelle Repräsentationen sind nur eine Frage der Zeit.
Der Wettlauf um die größten Datensammlungen hat begonnen und Deutschland befindet sich im hinteren Mittelfeld. Die großen amerikanischen, aber auch französischen Digitalisierungsprojekte schaffen nicht nur eine Basis für den künftigen Verkauf von Information, sondern zementieren eine Monopolstellung in der sekundären Verwertung dieser Datensammlungen. Bildung und Forschung sind die (jetzt noch heimlichen) Nutznießer dieser Entwicklung. Die Qualität einer Forschungseinrichtung richtet sich heute nicht mehr ausschließlich nach den Erfolgen der Mitarbeiter. Vielmehr ist der Erfolg von einer umfassenden und vielseitigen Datenbasis abhängig. Bildung ist heute ohne digitale Medien nicht mehr denkbar. Der Gang zur Bibliothek wird vom Download abgelöst. Die digitale Revolution ist in der Bildung noch nicht vollends angekommen, wird sie aber mit der Popularisierung von ebook-Readern und allgegenwärtigem Internetzugang in voller Wucht ergreifen. Das Wörterbuch und das Lexikon sind bereits ausgestorbene Gattungen. Das Lehrbuch und das Fachbuch werden folgen. Investition in die Zukunft von Bildung heißt zur Zeit vor allem Investition in digitale Infrastruktur und Digitalisierung von Medien und deren Einbindung in die Ausbildung.
Doch ist dies nur ein Baustein eines globalen Bildungsexports. Ebenso sind die politischen Rahmenbedingen für ausländische Gäste zu vereinfachen. Ausländische Studierende kämpfen an deutschen Universitäten nach wie vor mit absurden Formalitäten. Es existiert kein einheitliches Modell für die Weitergabe von Bildung an Ausländer und Ausländerinnen, sei es als Geschäftsmodell oder benefitäre Veranstaltung. Der deutsche Staat ist eine Bildungsverpflichtung für seine Bürger und Bürgerinnen eingegangen. Die Ressourcen, die aus dieser Verpflichtung erwachsen, können aber mit Gewinn allen Menschen dieses Planeten zur Verfügung gestellt werden. Eine Modernisierung und Ausbau der Bildungseinrichtungen bringt dabei mehrerlei Gewinn: Die jetzigen Schrumpfuniversitäten und lehrkräftemangelnden Schulen werden umgewandelt zu Bildungseinrichtungen, deren Kapazität den reinen Bedarf an deutschem Nachwuchs übersteigt. Dadurch entsteht ein Mehr an Ressourcen, an denen sowohl deutsche als auch ausländische Lernende partizipieren. Der ständige Zustrom von ausländischem Brainpower erhöht die deutsche Forschungsleistung, die wiederum der Wirtschaft zugute kommt. Ein selbstbefruchtender Kreislauf. Last but not least trägt Deutschland zur Befriedung dieses Planeten bei. Bildung bewahrt (teilweise) vor Ideologie und religiösem Übereifer.
Die vorangegangenen Ideen sind nicht weit entfernt von der Realität und fast greifbare Zukunft. Es gibt viele Menschen, die bereits an ihrer Umsetzung arbeiten. Fehlender politischer Wille blockiert diesen Sprung in die Zukunft und macht aus ihm einen jämmerlichen Hüpfer, den andere leicht überspringen. So sei die Politik aufgerufen, sich umzusehen, was die Zukunft bringt. Man kann die Weichen in neue Richtungen stellen und sie trotzdem mit alten Zügen befahren.