Gedanken zum “Kaffeetrinken für die Weltrevolution”

Replik auf Eine letzte Ergänzung der „liberté toujours“ – antideutschkommunistische Plattform der HUmmel-Antifa1

Werten wir diese letzte Ergänzung als Polemik….

Wer heute noch an die Weltrevolution glaubt, die „einzig und allein Schluß machen würde mit all den Mißständen der Welt“, ist ein Fossil einer vergangenen Zeit, ein Relikt des 19. Jahrhunderts, befangen in einem Glauben, der die Anpassung an die Moderne nicht erlebt hat und in seiner Religiösität in die Gegend etablierter, aber nicht minder verstaubter Religionen gestellt werden sollte.

Es läßt sich das Postulat aufstellen, daß die Revolution als historische Erscheinung ein typisches Phänomen des Übergangs zum Kapitalismus ist. Und zwar einerseits als Übergang von der  Feudalgesellschaft zur bürgerlichen, als auch andererseits als Übergang zwischen den verschiedenen Erscheinungsformen des Kapitalismus, wie z.B. die Oktoberrevolution der Übergang zum planwirtschaftlichen Monopolismus oder unsere „friedliche Wende“ der Übergang zur Marktwirtschaft oder eigentlich genauer zum Oligopolismus darstellt. Die bisherige Geschichte kennt Revolutionen nur in Verbindung zum Kapitalismus.

Dieses Postulat impliziert natürlich, daß mit Hilfe einer Revolution der Sozialismus marxscher Prägung oder gar Kommunismus nicht erreicht werden kann. Den Beweis des Gegenteils ist uns die Geschichte bisher schuldig geblieben.

Statt der Forderung nach Revolution oder gar Weltrevolution scheint es verwirklichbar, nach gesellschaftlicher Umstrukturierung zu rufen und diese dann tatsächlich als einzelner Mensch mit seinen Fähigkeiten in Angriff zu nehmen. Es ist ein Irrglaube, daß eine friedliche Gesellschaft, Sozialismus im marxschen Sinne oder gar Kommunismus auf einem Akt von Vernichtung und Zerstörung, wie ihn die Revolution darstellt, aufbauen kann. In diesem Sinne ist der Kapitalimus nur die Konsequenz seiner Gründung. Psychische und soziale Schranken werden den Menschen, der die Gewalt der Revolution ausübt, daran hindern, eine gewaltfreie Gesellschaft aufzubauen. Und umgekehrt wird der Mensch, der gewaltfrei bleibt, also nicht an der Revolution teilnimmt, sich nicht mit deren Ergebnissen identifizieren und diese fördern.

Als Alternative bleibt die Umstrukturierung der Gesellschaft in kleinen Schritten, in Schritten, die ein Menschenleben vollenden kann. Zu diesen kleinen Schritten gehört auch das Kaffeetrinken, wenn Milch von „glücklichen Kühen“2 und „ökologisch fair-gehandelter Kaffee“ die Zutaten sind.

Solange der eigennützige Mensch einen Selektionsvorteil besitzt, wird der Kapitalismus oder eine andere ausbeutende, unterdrückende Gesellschaftsformation bestehen bleiben. Die Selektion, also die Evolution, ist nach Jahrtausenden immernoch intakt und hat in den letzten ca. zwölftausend Jahren neben der genetischen noch eine soziale Komponente bekommen. Der eigennützige, in einem Wertesystem von persönlichen Vorteilen und Besserstellungen befangene Mensch hat in Gesellschaftsformationen, deren Werte auf die Etablierung von Differenzen aufbauen, stets einen Selektionsvorteil aus seiner sozialen Stellung und Aktion heraus. Nehmt ihm diesen Vorteil und er wird verschwinden und mit ihm die böse Gesellschaft.

„Individualität und freie Entfaltung, Befriedigung der Bedürfnisse und Gerechtigkeit, kurz: die Werte der Aufklärung sind nur in einer befreiten Gesellschaft, einer freien Assoziation freier und gleicher Individuen verwirklichbar.“

Die rigorose Verwendung des Wörtchen frei ist ein Zeugnis tiefster Gläubigkeit und Befangenheit. Obiger Satz strotzt vor Platzhaltern / Worthülsen, die letztlich nur das Andere suggerieren wollen. Sowohl die befreite Gesellschaft, die freie Assoziation als auch gleiche Individuen sind Oxymorone, die als Utopie wohl kaum taugen.3 Die Werte der Aufklärung sind im historischen Blick gerade die Werte, die in unsere Gesellschaftsformation geführt haben. Die Forderung nach Reinstallation aufklärerischer Ideen ist gleichzeitig die Forderung nach Wiederholung der Geschichte.

Im Einzelnen:

Goethe schreibt: „Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ Dies ist eine tiefe und zugegeben altersweise Einsicht in die Bedeutung des Wortes Freiheit. Goethes Spruch sträubt sich erst einmal gegen unsere heutige Sozialisation, aber besitzt dennoch unbenommene Gültigkeit. Wer ihn verstanden hat, benutzt Worte wie frei oder Freiheit nur noch in seltenen, ausgewählten Zusammenhängen.

Was ist eine befreite Gesellschaft? Eine Gesellschaft, die von etwas befreit wurde? Eine Gesellschaft, in der die Gesellschafter gegenseitig voneinander befreit sind? Oder nur eine unreflektierte Worthülse? Was ist freie Entfaltung? Dies soll wohl die ungehinderte und ungebremste Aktion eines einzelnen Menschen bedeuten und taugt somit nur als Motto einer schönen Illusion. Sobald mindestens zwei Menschen aufeinandertreffen oder gar genötigt sind, miteinander auszuhalten, ist eine freie Entfaltung sicher Todesursache Nummer Eins.

Bleiben die freien Individuen als verwirklichbares Ziel. Aber nur deshalb, weil hier der Begriff frei in einem engeren Sinne, nämlich einem physikalischen, begriffen werden kann. Das freie Individuum bedeutet sicher in erster Linie das bewegungsfreie Individuum, also der Mensch, welcher sich ohne Barrieren und Hinderungen auf der Erdoberfläche bewegen kann. Gedankenfreiheit, Meinungsfreiheit, Redefreiheit etc. kommen in dieser Wortkombination wohl an nachgeordneter Stelle. Was die Bewegungsfreiheit betrifft, kann sich ein deutscher Staatsbürger wirklich nicht beschweren. Für die Bürger der anderen Teile der Erdoberfläche besteht in dieser Beziehung erheblicher Nachholebedarf.

Nun ist obiger Satz eingebettet in den sozialen und kulturellen Kontext seiner Erschaffer. Wie oben angedeutet, suggeriert er das Andere im Gegensatz zum Vorhandenen, insbesondere zur persönlichen Situation seiner Verfasser. Sie wollen dem Leser vermitteln, das sie sich als Herdenmenschen ohne Möglichkeit der Entfaltung, mit unbefriedigten Bedürfnissen und ungerecht behandelt sehen. Und suggerieren gleichzeitig, daß sie unter diesem Zustand leiden. Gemessen an der Gesamtbevölkerung gibt es nicht viele Menschen in Mitteleuropa, denen es wirklich schlecht geht. Und Ihr gehört sicher nicht dazu! Wenn Ihr leidet, dann liegt das daran, daß Ihr leiden wollt oder daß Ihr Euch den Anschein des Leidens geben wollt und nicht daran, daß Ihr leiden müßt. Das Leben als Herdenmensch ist eben bequem. Das war die wohlwollende Interpretation.

Die andere Interpretation zählt Euch nicht zu diesen leidenen Menschen, sondern zu denen, die aus ihrer abgesicherten sozialen Position heraus leidenen Menschen helfen wollen. Was wollt Ihr dann hier? Deutschland ist eines der Länder der Welt, in dem die einzelne Person sich am ungehindertsten verwirklichen kann. Der Staat und die Kultur in Deutschland sind, bedingt durch ihre Geschichte, auf einen äußerst liberalen und toleranten Umgang mit ihren Bürgern eingestellt. In fast jedem anderen Land der Welt treffen die Menschen auf stärkere politische, soziale und/oder religiöse Restriktionen, die sie in ihrer Bewegung und Willensbildung und persönlichen Entäußerung beschränken und hemmen. Wenn Ihr diesen Menschen helfen wollt, dann ist Deutschland nicht der richtige Platz, und Eure Anwesenheit hier zeugt von einem grundsätzlichen Zynismus gegenüber denen, die tatsächlich in ihren Existenzbedingungen leiden.

Vor diesem Hintergrund drängt sich ein weiterer Aspekt auf: Wenn eine angenommene Weltrevolution stattfände, dann geht sie bestimmt nicht von Deutschland aus und würde wahrscheinlich nicht einmal in Deutschland stattfinden. Den meisten Deutschen geht es gut und ihr Wille nach Aufbruch und Veränderung ist im Wohlsein gefroren.

„Jemand, der in der Krähe arbeitet, kann kein*e AntisemitIn sein! Weil: er*sie doch links ist.
Und warum ist er*sie links? Weil: der Krähenfuß links ist. Und warum ist der Krähenfuß links?
Weil: da soviele linke Leute arbeiten. Der politische Anspruch führt sich somit selbst ad absurdum.“

Nachhilfe in Sachen Logik4: Eine Schlußfolgerung funktioniert nur dann, wenn alle Implikationen in der kausalen Kette gelten. Den vermeintlich oben vorhandenen Zirkelschluß gibt es realiter nicht.
Die Absurdität des politischen Anspruchs aus einer polemischen und logisch inkorrekten Stilfigur abzuleiten,zeitigt inhaltliche Schwäche und ein Unverständnis über die Zusammenhänge zwischen „politischem Anspruch“, „Selbstverständnis“ und den beteiligten Menschen. (Im Übrigen kann sich der politische Anspruch nicht selbst ad absurdum führen. Es bedarf dazu immer eines Protagonisten.)

Schon die erste Implikation geht von einer ausschließenden kausalen Verbindung von linker Gesinnung und Antisemitismus aus. Diese Verbindung ist a priori nicht gegeben. Sie ist vielmehr eingebettet in die Ausschließung von linker Gesinnung und Rassismus mit der im deutschen linken Diskurs historisch motivierten Akzentuierung auf Antisemitismus5. Diesen Schritt muß aber jeder Mensch einzeln gehen: Ein linke Gesinnung ist relativ einfach zu erwerben. Das politische und soziale Umfeld läßt dies in vielen Fällen zu oder fördert dies sogar. Eine antisemitische oder contra-antisemitische Einstellung zu entwickeln fällt dagegen schwerer. Zum Einen fehlt dafür der Nährboden, namentlich die Präsenz des Semiten, zum Anderen ist der antisemitische sowie sein Gegendiskurs öffentlich latent und daher schwerer teilnahmefähig. Die meisten Linken haben schlicht keine Meinung zum Semiten oder Antisemitismus oder leiten ihre Meinung aus einer prinzipiellen Ablehnung von Rassismus ab, ohne sie weiter zu detaillieren. Insofern ist die erste Implikation ein realitätsferner Schluß, wenn nicht sogar ein Fehlschluß.

Die zweite Implikation deutet auf eine grundsätzliche Arroganz der Verfasser hin und auf eine Fehleinschätzung, wenn nicht sogar Geringschätzung des „Krähenkollektives“. Fakt ist, daß die meisten Leute des Krähenkollektives linkspolitsch orientiert sind und deswegen im Krähenfuß mitarbeiten. Eine Umkehrung dieser Implikation (wie oben vorgenommen) ist Mißachtung dieser Menschen. Aber obiger Schluß funktioniert auch auf andere Weise nicht: Ein Projekt definiert sich über die Menschen, die es vorantreiben und nicht umgekehrt. Die oben mitschwingende Unterstellung ist, daß Einzelne dieses Projekt als Tarnung benutzten. Stellt sich die Frage, was oder wer getarnt werden soll. Der Gedanke führt nicht weiter.

Es scheint noch andere Gründe zu geben, sich im Krähenfuß zu engagieren: Die soziale Wirkung des Krähenfußes geht weit über den politischen Anspruch hinaus und ist nicht nur auf die Besucher beschränkt, sondern manifestiert sich vor allem im „Krähenkollektiv“ selbst. Wenn die Liberté toujours fordern, daß einige Mitglieder sich „von der Krähe fernzuhalten haben“, aber im selben Papier „jegliche Form von Ausgrenzung und Unterdrückung, Ausübung körperlicher und psychischer Zwänge“ ablehnen, ist das nur ein Zeichen inhaltlicher Leere und rhetorischer Ohnmacht. Ihr scheint eine Eurer Aufgaben in der Bekämpfung des Antisemitismus zu sehen, seid aber gerade jetzt an einen Punkt gekommen, wo „Kampf“ nicht das angemessene Mittel ist. Die Möglichkeit anderer Mittel, wie z.B. der Missionierung, wird nicht erwogen.

Die Liberté toujours sollte erkennen, daß sich das Krähenfuß von einem links-aktionistischen Projekt zu einem links-orientierten und etablierten Soziotop gewandelt hat, in dem alle Beteiligten miteinander auskommen und voneinander lernen sollten. Nicht alle Beteiligten können aus ihrer persönlichen Entwicklung, ihrer Sensibilisierung und/oder ihrem Wissensstand heraus dem „humanistischen Minimalkonsens“ in vollem Umfang entsprechen. Das muß erst einmal so akzeptiert werden. Ein Ziel dieses Projekts ist aber, durch „Analyse und Kritik“ ein Fortschreiten aller Beteiligten in diese Richtung zu ermöglichen und zu befördern. Das habt ihr lobenswerter Weise erkannt, auch wenn ihr diesen Weg noch nicht zu gehen bereit seid. Der Weg vom Ausschluß Einzelner zu Hexenverbrennungen ist nicht weit.

Armseliges Vorgehen.

UNSER HAUS HUMBOLDT

Berlin, am 18. Mai 2003


Fußnoten

1
Soweit nicht weiter gekennzeichnet, sind die Zitate obiger „Eine letzte Ergänzung…“ entnommen.

2
Es ist Unterstellung, einem Tier menschliche Emotionen zuzuschreiben. Wir kennen natürlich die Ausdrucksformen, in denen Tiere ihren aktuellen seelischen Zustand äußern, insbesondere, wenn sie leiden. Aber ob eine Kuh Glücksgefühl entwickelt, wenn sie eine grüne Wiese betritt, ist zu bezweifeln.

3
Bemerkenswert ist an dieser Stelle überhaupt das Auftauchen von Oxymoronen in einem links-politischen Text. Sie waren ein sehr beliebtes Stilmittel der romantischen und impressionistischen Lyrik im 19. Jahrhundert, sind aber danach schnell außer Mode gekommen.

4
Von Nachhilfe in Sachen Grammatik wird abgesehen, wenn es auch nötig erscheint. Nur soviel: Es heißt das Krähenfuß als Ellipse von das SBZ Krähenfuß.

5
Hier wird von einer umgangssprachlichen Deutung der Begriffe Rassismus und Antisemitismus ausgegangen, die sich eher an der Wirkung als am Inhalt der Begriffe orientiert. Dies steht
im Gegensatz zum akademischen bzw. Antifa-Gebrauch dieser Begriffe, deren Deutung leider unüblich und expansiver ist.