Kann man jemandem etwas verzeihen? Ich habe das Gefühl, dass dies ein recht unvernünftiger Brauch ist. Er entstammt sicher der christilichen Moral (Sünden vergeben etc.). Aber steckt darin nicht eine unerhörte Anmaßung des Verzeihenden? Er sieht sich selbst in der Position, entscheiden zu dürfen, ob die Handlungen einer Person den gesellschaftlichen Beziehungen oder speziell ihrer zwischenmenschlichen Beziehung, nachhaltig schaden oder nicht. Dadurch wird der Handelnde seiner Verantwortung für seine Handlungen enthoben.
Der Verzeihende verpflichtet sich wohl durch das Verzeihen, evtl. Handlungen zu vergessen bzw. nie wieder zu erwähnen. Also steht hinter dem Verzeihen eine Entmündigung der Person, der es etwas zu verzeihen gibt; eine Machteinräumung eben dieser Person gegenüber dem Verzeihenden und eine beidseitige Geschichtsverdrängung.
Statt des Verzeihens scheint es sinnvoller, entgleiste Handlungen zu besprechen und vor allem auch unbequeme Tatsachen auszusprechen. Denn häufig ist das Verzeihen ein Mittel, um unbequemen Offenbarungen aus dem Weg gehen zu können. Reue darf dabei aber nicht zur Selbstdemütigung werden.
Und am Ende soll es nicht heißen: “Ich verzeihe Dir.”, sondern: “Damit müssen wir leben.”