Heute vor 111 Jahren machte sich zur Mittagszeit der Tierpfleger Frederick Ault auf dem Rücken seiner Elefantin Topsy auf den Weg zu einer Promenade über Coney Island. Topsy hatte bereits drei Menschen auf dem Gewissen und galt als nur von Ault zu bändigen. Der Meister und sein Werkzeug.
Von Kreuzung zu Kreuzung braute sich eine Neugierigenmasse zusammen, die das Spektakel mit Horror und zu Fuß verfolgte. Nach einer halben Meile stieg der angetrunkene Ault ab und schlug auf den Rüssel der Elefantin ein. Ein Polizist namens Conlin versuchte ihn festzunehmen, hatte die Rechnung aber ohne den Meister gemacht. Der drohte nämlich, Topsy in die Menge zu hetzen. Patt zwischen Meister und Gesetzesmacht.
Conlin droht Ault mit seiner Waffe. Um das Tier zu kontrollieren und zur Polizeistation zu dirigieren, bedient sich Conlin eines Mediums (des Tierpflegers) und eines Zauberstabes (der Pistole). Magischer Moment: Die Elefantin wird durch einen symbolischen Akt zur Station geleitet. Die symbolische Kraftübertragung geht von Conlins Zeigefinger am Abzug der Pistole über die Zeige- und Drohgebärde des Pistolenlaufs über Ault auf die Elefantin, die sich ferngesteuert bewegt. Angekommen lässt sich die Magie allerdings nicht brechen. Auch als der Pfleger im Gebäude längst nicht mehr bedroht wird, versucht die Elefantin durch die Stationstür zu gelangen und bleibt dort nach einigem Sachschaden stecken.
Die Polizei und der Namesvetter und Chef vom Luna Park Frederick Thompson überzeugen Ault, Topsy wieder nach Luna Park zurückzubringen.
Vier Wochen später, am 4. Januar 1903, wird Topsy exekutiert. Thomas Alva Edison tritt selbst nicht in Erscheinung, doch sein Markenname prangt an allen Details einer Rundumhinrichtung. Werbewirksam wohnen 1500 Menschen dem Ereignis bei. Doch wieder wurde die Rechnung ohne den Meister gemacht. Ault weigerte sich, Topsy zum Schafott zu bringen. So versuchte Carl Goliath (nomen est omen) vom Hamburger Zoo Hagenbeck mit anderen, die Elefantin zu bewegen. Sie kamen bis zum Hof, konnten Topsy aber nicht überzeugen, eine schmale Passage zum Schafott zu durchschreiten. Das Schafott musste zum Elefanten kommen. Nachdem Topsy mit cyanvergifteten Karotten gefügig gemacht wurde, installierten Elektriker der Edison Company Elektroden unter den Füßen des Elefanten. Mit 6.600 Volt der Edison Electric Light Plant wurde Topsy mit 75 Minuten Verspätung vaporisiert.
Die Hinrichtungsvokabeln entstammen der damaligen Berichterstattung. Dreizehn Jahre nach Erfindung des elektrischen Stuhls durch einen Angestellten von Edison wird Elektrizität noch immer durch öffentliche Tierhinrichtungen propagiert. Das neue Medium der Kraft und des Lichts kann auch Tod bringen. Dabei spielte es weniger eine Rolle, die Schädlichkeit elektrischen Stroms an sich pädagogisch zu lehren. Vielmehr ging es darum, die physiologischen Wirkungen des konkurrierenden Wechselstroms zu demonstrieren. Entsprechend wurde Topsy mit Wechselstrom getötet. Während Edison noch den Gleichstrom als Standard zu etablieren und zu verteidigen suchte, tötet der Wechselstrom Tiere und Menschen – mit Maschinen von Edison.
Zeitgleich filmten Techniker der Edison Manufacturing Company die Electrocution für das Kinetoscope. Dort läuft und verdampft Topsy nun in einer Endlosschleife, um den Wahnsinn des Wechselstroms der Welt zu zeigen. Die endlosen Kreisschwingungen des Wechselstroms gehen über in die endlose Wiederholung des Todes. Die etwa zeitgleich entwickelten Medien Elektrischer Stuhl und Kinetoscope konvergieren. Topsy ist der erste medial animierte Wiedergänger.
Was im Film nicht zu sehen ist: Topsy wurde dreimal hingerichtet. Das Zyanid hätte dem Elefanten bereits einen schnellen, qualvollen Tod bereitet. Edisons Elektriker mussten sich beeilen, die Elektroden zu installieren, damit Topsy ein zweites Mal kameratauglich im Stehen gerichtet werden kann. Zwischen der Zyanidgabe und dem Elektroschock lagen sieben Minuten. Entgegen der Berichterstattung der New York Times wurde Topsy dann noch stranguliert, bevor sich Tierärzte in ihre Nähe wagten, um den Tod festzustellen.
Choreographie des Todes: Für die Filmaufnahme gab es nur einen Versuch und ein kurzes Zeitfenster, denn der Rollfilm war kurz. Beim Elektroschock muss Topsy umfallen, also vor dem Schock stehen. Ein Film braucht Performance. Danach muss sie reglos liegen bleiben. Da sich Topsy dem Schafott, der vorbereiteten Bühne verweigert hat, musste die Menagerie umziehen. Ob der Elektroschock tödlich sein und Edisons Kraftwerk den elektrischen Kurzschluss lange genug verkraften würde, war keinesfalls sicher. Daher wurde der Elefant schnellwirksam vergiftet. Er wäre mit dem Gift sowieso binnen kürzester Zeit umgefallen. Bei den ersten Symptomen der Zyanvergiftung startet die Filmaufnahme und D.P. Sharkey von der Edison Company legt den Schalter um.
Ob der Elektroschock tatsächlich tödlich war, sehen wir nicht. Alles, was wir sehen, ist ein qualmender, fallender Elefant, von dem wir wissen, dass er kurz danach tatsächlich tot war. Todesursache unbekannt, nicht aus Unkenntnis, sondern aus einem Zuviel an Ursachen. Eine Autopsie wurde durch die sofort anschließende Dissektion verhindert.
Die Überreste der Elefantin erwarb prä mortem der Tierpräparator Hubert B. Vogelsang aus 311 East 59th Street, eine Adresse, die kurz darauf der Queensboro Bridge weichen musste, womit sich die Spuren von Frau Topsy und Herr Vogelsang im Dunkel der Geschichte verlieren.