Der Wiederaufbau der rothenburgschen Stadtmauer versiegelt die mittelalterliche Traumwelt in ihrem Inneren. Genauso wenig die Stadtmauer aus dem 12. Jahrhundert überdauerte, so wenig ist das ihr Eingeschlossene alt oder authentisch. Kein Haus stand, wie es steht. Keine Straße lag, wie sie liegt. Die Mauer, komplett, dicht, glatt, sichtbar.
Inszeniert eine mittelalterliche Stadt! Fäkalien in den Gassen, wurmstichiges Holz, durchregnete Dächer, der Geruch von Verbranntem – und die Mauer: angelehnte Ställe, ungebändigter Efeu, Steinschlag, Ziegelfall. Instandsetzung alle 123 Jahre. Und irgendwann steht sie im Weg. Die Durchfahrt zu klein. Der Weg herum zu weit. Die Sicht versperrt. Haut Löcher hinein!
Die Mauer, die Stadt sind heute denkmalhistorisch. Kein Abbild vergangener Zeiten. Sie sind nur jetzt und hier. Kulminationspunkt einer Entwicklung. Ein inszeniertes Nebeneinander, wo es kein Nebeneinander gab. Ein zusammengeraffter Bauzustand, dessen Details über Jahrhunderte datieren.
Unsere Vorstellungswelt besteht aus Architekturskizzen. Dreidimensional verwirklicht. Ohne fliegenden Müll. Ohne schlafende Menschen. Ohne ratterndes Fuhrwerk auf Pflaster. Alles in einem Idealzustand festgemörtelt, pastellgefärbt und druckgereinigt. Der Katalog, der Reiseführer, der Rundweg halten das Pasticcio zusammen. 1000 Jahre Geschichte auf 50 Hektar komprimiert.
Wir nehmen begangene Erinnerungen mit. Kaffeetrinkend, sitzend, spazierend in einer unbedrohlichen Stadt, in der wir nicht leben mussten. Anfassen erlaubt. Der Ausgang ausgeschildert. Freundlich zum Ende.