Von der Abteilung zur Institution

Essay über das Fortleben des ursprünglichen Konzepts der Berliner Urania-Gesellschaft in eigenständigen Institutionen

Nach der Muse der Sternenkunde bezeichnet, hat die Urania-Gesellschaft einen ihrer Schwerpunkte schon zur Gründung im Jahre 1888 im Namen verewigt. Dies ist sicher auf die astronomische Aus­richtung der beiden Gründungsväter Wilhelm Foerster und Max Wilhelm Meyer zurückzuführen. Wilhelm Foerster war Physiker und Astronom und langjähriger Leiter der Berliner Sternwarte. Max Wilhelm Meyer studierte Astronomie in Leipzig, war aber zuvor zum Buchhändler ausgebildet wor­den. Vielleicht stammt daher sein Hang zum Musischen, ein Hang, der einen ersten Einfluß auf die Namensgebung der Institution hatte und im weiteren prägend für eine Abteilung der Urania sein sollte.

Bei der Gründung der Urania gab es fünf Abteilungen, die alle mit dem Ziel eingerichtet wurden, verschiedensten Menschen mit unterschiedlichem Bildungshintergrund naturwissenschaftliche Er­kenntnisse zu vermitteln und technische Entwicklungen vorzustellen. Die Urania war in erster Linie ein didaktisches Experiment. Neben der wissenschaftlichen Qualität legte man Wert auf Anschau­lichkeit im Wortsinne. Das Publikum sah, was normalerweise nicht zu sehen war. Die lehrhafte Auf­bereitung für den interessierten, aber nicht einschlägig vorgebildeten Laien ist bis in die Gegenwart eine Kernaufgabe der Urania geblieben.

Die Abteilungen der Urania waren vorbildgebend für eine Reihe von Institutionen, welche sich bis heute der Verbreitung von naturwissenschaftlichem und technischem Wissen verschrieben haben, und quasi die Ausdifferenzierung, welche im kleinen innerhalb der Urania vollzogen wurde, im großen Maßstab fortsetzen. Insofern könnte die Urania auch als Nukleus heute großer Museen und populärwissenschaftlicher Einrichtungen begriffen werden. Erstaunlicherweise ist der populärwis­senschaftliche Vortrag, worauf sich die Urania heute konzentriert, zur Gründungszeit nur als Be­gleitprogramm gegeben worden. Die Abteilungen waren konzeptionell in sich abgeschlossen und konnten eigenständig funktionieren. Wahrscheinlich ist dies der Grund, warum das Konzept der ein­zelnen Abteilungen im kleinen Maßstab der Urania genauso gelang wie im großen Maßstab einer ei­genen Institution.

Den Kern der Urania bildete die astronomische Abteilung. Sie wurde nicht nur prägend für das Pro­gramm, sondern auch symbolisch sinngebend durch die weithin sichtbaren Kuppeln der integrierten Sternwarte im eigens errichteten Urania-Gebäude. Wilhelm Foerster hatte als Leiter der Berliner Sternwarte schon seit den 1860er Jahren Erfahrungen mit einem Laienpublikum sammeln können, da die Berliner Sternwarte dem Neugierigen offenstand und neben dem Zugang zu den Fernrohren auch ein kleines Programm zur astronomischen Wissensvermittlung offerierte. Aber Wilhelm Foerster beklagte, daß die wissenschaftliche Arbeit unter dem öffentlichen Zudrang leide, was ihn wesentlich zur Gründung der Urania bewegte. Ursprünglich wollte er nur eine eigene Volksstern­warte gründen, da­mit in der Berliner Sternwarte ungestört geforscht werden könne. Erst die Be­gegnung mit Max Wilhelm Meyer ließ diesen Gedanken der Volkssternwarte in das umfassendere Programm der Urania einfließen. So enthielt die astronomische Abteilung nicht nur die Sternwarte mit ihren Fern­rohren, sondern auch einen «verfinsterten Raum, wo man uns bittet, Platz zu nehmen, um diejeni­gen Wunder des Himmels, welche in natura im allgemeinen nur abends gezeigt werden können, in möglichst naturgetreuen und eindrucksvollen Nachbildungen mit Hilfe mächtiger Licht­wirkungen zu betrachten.» Damit war der Grundstein für unsere heutigen Sternentheater und Plane­tarien ge­legt. Oskar von Miller, der Gründer des Deutschen Museums in München, konnte 1913 die Firma Carl Zeiss Jena dazu bewegen, einen Projektor für das erste Planetarium in München zu ent­wickeln. Bei der Herstellung von Planetariumsprojektoren ist diese Firma auch heute noch weltfüh­rend und zur Institution auf diesem Gebiet geworden. Bis heute ist nicht bekannt, inwiefern Oskar von Miller von den Ideen der Urania inspiriert wurde, da sein kompletter Schriftverkehr im 2. Welt­krieg ver­nichtet wurde. Aber es ist unbedingt davon auszugehen, daß er die Urania sehr gut kannte. Zu frappierend sind die inhaltlichen Parallelen zwischen seiner Arbeit und der Urania.

Denn die weiteren Abteilungen der Urania, namentlich die physikalische, die mikroskopische und die Abteilung für Präzisionsmechanik finden in ihrem Konzept und ihren Zielen einen wesentlichen Widerhall im Deutschen Museum in München, dessen Gründer, wie erwähnt, eben jener Oskar von Miller war. Das Deutsche Museum hat in einer immensen Aufbauarbeit das fortge­setzt, was in den Abteilungen der Urania bereits angedacht und umgesetzt war: die Kennt­nisse über Naturwissen­schaft und Technik nicht nur zu veranschaulichen, sondern im Experiment und in der Vorführung für jedermann quasi anfaßbar und nachvollziehbar zu gestalten. So fanden sich in der Urania Expo­nate, die der Besucher selbst in Gang setzen mußte, und deren Funktion er in genauen Beschrei­bungen aller Vorgänge nachvollziehen konnte. Wesentliche Innovation der Ura­nia war damals der interaktive Umgang mit den Exponaten, welche als Idee Eingang in einen neuen Typus von Museum fand, für den das Deutsche Museum in München hier stellvertretend erwähnt sei. Daß dieser Typus von Museum in der Tradition der Urania steht, wird allzu symbol­trächtig durch das Deutsche Technikmuseum in Berlin vergegenwärtigt, das heute noch ur­sprüngliche Exponate der Urania zeigt, die nun eine doppelte Erfahrung offerieren, nämlich die Be­lehrung über das de­monstrierte Phänomen und ebenso ein Stück Wissenschaftsgeschichte.

Über das Paradigma des Museums, welches als Hauptbestandteil nicht nur die Belehrung, sondern die Sammlung, Aufbewahrung und Forschung beinhaltet, gehen die heutigen sog. Science Center hinaus. Diese verstehen sich teilweise in ihren Selbstdarstellungen als wahre Erben der Urania. Ihre Ausrichtung ist ausschließlich die interaktive Vermittlung von naturwissenschaftlichem und technischem Wissen. Dabei sind sie weniger darauf aus, das Außergewöhnliche und Spektakuläre darzustellen, als viel­mehr dem Besucher die alltäglichen Phänomene vertrauter und verständlicher zu machen. Ein grundlegendes Unterscheidungsmerkmal zum Konzept der Museen ist hier der Versuch, die Exponate auf dem neuesten bzw. teilweise sogar zukünftigen technischen Stand zu halten.

Dies beabsichtigte die physikalische Abteilung der Urania ebenfalls. Großen Raum nahmen Ver­suchsanordnungen und Objekte ein, die Elektrizität erläuterten und benutzten. Die Elektrizität revo­lutionierte damals den Alltag. In der physikalischen Abteilung vereinten sich die Interessen dreier Gruppen, nämlich der Wissenschaftler als Erforscher und Entwickler, die ihre Arbeit präsentierten, der Besucher, welcher mehr über die Neuerungen in ihrem Alltag erfahren wollten, und nicht zuletzt und stellvertretend Werner von Siemens’, eines der Hauptgeldgeber und Gründer der Urania, welcher natürlich auch aus wirtschaftlichem Interesse bei einer Popularisierung seiner Produkte mithalf. Ähnliches findet sich heute im Konzept der Science Center, in welchen der Computer mit seinen Möglichkeiten einen breiten Raum einnimmt und in der Regel die entsprechenden Exponate von Elektronik- und Softwareherstellern bereitgestellt und teilweise sogar entwickelt werden.

Eine gänzlich andere Abteilung der Urania fand in ihrer eigentlichen Konzeption keine Nachfolge in einer gegenwärtigen Institution. Der eigenständige und seinem musischen Hang zuzuschreibene Beitrag Max Wilhelm Meyers zum Konzept der Urania war das Wissenschaftliche Theater, das in einem flachen Anbau des alten und nicht mehr existenten Urania-Gebäudes in der Invalidenstraße in Berlin untergebracht war. Diese Abteilung ist im Wortsinne als Theater zu begreifen. Hier wurden Wissenschaft inszeniert und naturwissenschaftliche Vorgänge szenisch dargestellt. Der Theaterraum war mit der damals modernsten Technik ausgestattet, so daß die Vorführungen mit umfangreichen Licht- und Klangeffekten unterstützt werden konnten. Neben wiederum astronomischen Vorgängen wurden allgemein Himmelserscheinungen demonstriert, insbesondere meteorologische Sachver­halte, aber auch Erkenntnisse über die Frühzeit unseres Planeten vermittelt. In der Anfangsphase war das Wissenschaftliche Theater der eigentliche Publikumsmagnet. Die dramatische Darstellung von wissenschaftlichen Erkenntnissen war nicht nur belehrend, sondern auch unterhaltsam und wegen der moderaten Eintrittspreise vor allem in der Berliner Arbeiterschaft beliebt. Der Fortgang Max Wilhelm Meyers 1897 besiegelte auch das Schicksal des Wissenschaftlichen Theaters, da einerseits seine Nachfolger nicht an die anfänglichen Erfolge anzuknüpfen vermochten und sich andererseits in Folge Wilhelm Foerster mit seinem Wunsch nach dem Primat des wissenschaftlichen Vortrags gegenüber der dramatisch-unterhaltsamen Darstellung durchsetzen konnte. Dieser Wunsch Foersters sollte die Urania bis heute prägen, da gegenwärtig der populärwissenschaftliche Vortrag eine ihrer Hauptaktivitäten ist.

Aber auch in anderer Hinsicht war dem Wissenschaftlichen Theater keine Zukunft beschieden, da es von den Möglichkeiten des Lehr- und Dokumentarfilms verdrängt bzw. beerbt wurde. Erste Lehr­filme gab es bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, der Unterrichtsfilm wurde in Deutschland 1933 offiziell zugelassen, hatte bis dahin aber viele Vorstufen der Entwicklung erlebt. Besonders das po­tentiell erreichbare, viel größere Publikum und der schnelle Wechsel zwischen szenischer und doku­mentarischer Darstellung im Film ließen das Wissenschaftliche Theater als Rudiment des 19. Jahr­hunderts schnell verblassen. Insofern blieb die Urania, wenn vielleicht nicht bewußt, ihrem Konzept treu, neueste technische Errungenschaften zu benutzen und darstellen zu wollen, indem sie das Theater als veraltetes Medium aus dem Programm nahm.

Es ist die Ironie der Geschichte, dass der Zuschauerraum des wissenschaftlichen Theaters als einziges Gebäude des alten Uraniakomplexes erhalten geblieben ist und als Fremdkörper inmitten von Neubauten ungenutzt einer neuen Bestimmung harrt.

So erfolgreich das ursprüngliche Konzept der Urania-Gesellschaft war, so schnell wurde es von po­tenteren Institutionen überwuchert und beerbt. Von den ursprünglichen Abteilungen der Urania-Ge­sellschaft findet sich beim heutigen Berliner Urania-Verein keine wieder. Dagegen gibt es große Unternehmungen und Institutionen, welche aus der Idee im kleinen Maßstab einen Aspekt heraus­griffen und in Größe verwandelten. Vielleicht war das Konzept mit seinen verschiedenen Abteilun­gen nicht tragfähig, da sie letzlich nur der Wunsch nach Wissenspopularisierung verband, sie aber untereinander zu wenig Gemeinsamkeiten hatten. Ein Meilenstein und eine bemerkenswerte Institution im Umgang mit Wissenschaft und Technik war und bleibt die Urania dennoch.