Die Mensa Süd

(in UnAufgefordert Nr. 100, 27.01.1999)

Am liebsten esse ich Kartoffeln mit Omelett und der sensationellen Champignon-Sauce (Soße). (Gibt es in der Mensa Süd in unregelmäßigen, aber stetigen Abständen.) Ich freue mich immer schon Tage im voraus darauf, wenn es dann endlich auf der Speisekarte steht. Wie ich mich auf die Mensa Süd sowieso am meisten freue. Was ist schon die Mensa Nord mit ihrer häßlichen Architektur, den weitläufigen Speisesälen (in denen man stets Platz findet), die vier verschiedenen Essen (die einem die Entscheidung nur schwer machen)? Was ist schon die TU-Mensa mit ihren Speisesaal-Augen, die beständig auf den Steinplatz äugen, mit ihrer Auswahl an Nachtisch, den breiten Stühlen (die eher entpolsterten Sesseln gleichen) und der üppigen Flora, die im Speisesaal wuchert? Was haben diese Mensen gegenüber der Mensa Süd schon zu bieten? Nur billigen Ersatz! Sie besitzen bei weitem nicht die Authentizität des historischen Speisesaales. In welcher Mensa entwickelt sich eine so intensive familiäre Atmosphäre? Die Beschränkung auf drei Essen ist in unserer Zeit des Überangebotes eine wahre Wohltat. Da fällt die Entscheidung nicht schwer. (Mein Forderungskatalog für mein Mittagsessen: 1. darf kein Rindfleisch enthalten; 2. darf nichts enthalten, was aus dem Wasser stammt [Fischfilet ohne Gräten ausgenommen]; 3. darf keine Innereien von Tieren enthalten [habe nur Interesse an blankem Muskelfleisch]; 4. dürfen keine Weichtiere sein; 5. sollte nur aus Zutaten bestehen, die ich kenne und aussprechen kann; 6. soll billig sein. Da bleibt meistens nur eins von drei Essen übrig.)

Die Mensa Süd ist bequem: ist nicht bequem beim Anstehen nach dem Essen; ist nicht bequem beim Suchen eines Sitzplatzes, ist nicht bequem bei der Geschirrückgabe; aber ist bequem zu erreichen; ist bequem, wenn man sich im Sommer mit dem Essen in den Innenhof setzt ( kultich!! ; Bei welcher Mensa kann man denn schon im Freien essen? Weimar, Erlangen, Marburg – ich weiß, ich weiß); ist bequem, wenn man nach dem Essen in die Oper geht (ist ja nur auf die andere Straßenseite). Das Essen schmeckt (nicht wie bei Muttern, aber trotzdem), ist nahrhaft (als Ergänzung zu Frühstück und Abendbrot), ist warm (sogar im Winter) und wird von netten Elfen verteilt, von denen man es gerne nimmt. Und Oberon wacht mit Adleraugen über das Geschehen in seinem Reich, sorgt für Nachschub (in vier verschiedenen Niveaus – Niveau 4: Bratkartoffeln; Niveau 3: Salzkartoffeln; Niveau 2: Kartoffelbrei; Niveau 1: Kartoffelsalat – mit fortschreitender Zeit begeben wir uns immer ein Niveau tiefer), sorgt für straffe Arbeitsorganisation und sorgt letztlich für eine Identifikation mit seinem Essen.

Zwischenmenschlicher Kontakt im Speisesaal: Viele kommen schon mit ihren Bekannten in die Mensa, verlieren sich kurzzeitig an der Essenausgabe und ergeben sich dann in ekstatischer Freude, wenn sie Sitzplätze in Sichtweite finden. Sich als Kurzsichtiger in der Mensa verabreden, ist kurzsichtig, wenn man die Sehhilfe nicht dabei hat. (Also Brille nicht vergessen!) Sonst heißt es, mit dem Teller in der einen Hand, der Tasche in der anderen, dem Besteck in der Gesäßtasche und der Giro-Vend-Karte zwischen den Zähnen sich durch jackenbehangene Stühle pfropfen, bis ein bekanntes Wesen identifiziert und ein freies Gesäßgelaß erobert ist.

Neue Bekanntschaften am Tisch zu finden, ist außerordentlich einfach. Genug Gesprächsinhalt hat man vor sich zu stehen. Und sollte das nicht reichen, kann man auf Substanzen der letzten Tage zurückgreifen oder sich über Institutsräte unterhalten. Der Speisesaal ist ein kommunikatives Zentrum.

Der historische Ort: Mich durchbebt immer ein angenehmer Schauer, wenn ich mir vorstelle, daß Hegel, Weierstraß und … in diesem Speisesaal ihre Butterbrote gegessen haben. Und bei jedem Löffel von meiner Kartoffelsuppe mit Wurst (unübertroffen, so schafft es nicht mal Muttern) denke ich, daß hier in hundert Jahren ein Student sitzen wird, der denkt: Vor zweihundert Jahren haben sie hier ihre Butterbrote gegessen, vor hundert Jahren ihre Kartoffelsuppe geschlürft und ich kann mich kaum auf dem Stuhl halten vom Druck der historischen Erfurcht an diesem Ort. Was es zu essen gibt, ist nebensächlich an diesem Ort. Ob Butterbrot, Kartoffelsuppe oder Weizeneiweißschnitte (Brrrr!!). Hauptsache, ich darf hier sitzen, mit dem richtigen Ausweis in der Tasche (nämlich dem Studentenausweis der Humboldt-Uni, jede andere Legitimation wäre nicht echt) und habe einmal dazugehört und werde automatisch ein Stück unvergessene Geschichte. So funktionieren historische Ereignisse. Ich war dabei!!

Vierzehn Uhr dreizig: Ich habe wie immer vergessen, meine Colaflasche rechtzeitig zurückzubringen. Daß die in ihrer Imbißbude immer so pünktlich schließen. Müssen Preußen sein. Also stelle ich die Flasche wie immer auf den Tisch gegenüber des Eingangs der Bude und gehe mit dem zufriedenen Gefühl, daß sich jemand anderes bestimmt über die Flasche freuen wird (ich erinnere an den Film „Die Götter müssen verrückt sein“).

Mensa Süd ist Spitze. (Kartoffelpuffer)