Der Institutsrat

(in UnAufgefordert Nr. 98, 25.11.1998)

Ich überlege, ob ich wirklich für den Institutsrat kandidieren sollte. Ich habe dabei immer die Befürchtung, mit dabei geholfen zu haben, diese Universität zu begraben. Mit der Annahme meiner Wahl bekomme ich den Spaten in die Hand gedrückt und kann helfen, draußen in Adlershof ein Loch zu schaufeln, in dem die Universität dann verschwindet. Und es ist illusorisch, daß die Gesellschaftswissenschaften (und alles, was in Mitte verbleibt), nicht mitgerissen werden vom Untergang der Naturwissenschaften. Die Titanic ist auch in der Mitte gebrochen und trotzdem komplett gesunken.

Im Institutsrat zu sein, heißt ansehen zu müssen, wie der universitäre Hochadel sich gegenseitig oder gar selbst die Gliedmaßen amputiert (aus Dummheit oder Gier); wie der niedere Adel um seine Existenz bangt (auf die Gnade der „Hohen“ angewiesen); wie das Universitätsbürgertum dulden kann (und nur so geduldet wird); und wie letztlich das Fußvolk, die breite Masse, Fronarbeit im Dienste der deutschen Wissenschaft leistet (worüber man im Institutsrat natürlich nicht redet). All das sieht man durch den Institutsrat besser und schärfer.

Der Institutsrat ist ein Fokus. Es decken sich Mechanismen auf, kleine Machtspiele (Ha! Ha! Was ist Macht in den Händen von eingesperrten Schlümpfen?) und immerwährende Ahnungslosigkeit. Wenn man nach zwei Stunden Institutsratsitzung immer noch dabei ist, einzelne Tagesordnungspunkte zu erklären, weil einige Institutsratsmitglieder schlecht (besser: garnicht) vorbereitet sind, dann wird diese unschuldige Ahnungslosigkeit offenbar. Unschuldig? Diesen Anschein geben sie sich zwar; daß diese Ahnungslosen dabei Schuld auf sich laden, ahnen sie meist garnicht. Schuld an der verschwendeten Zeit so vieler hochkompetenter Leute; Schuld an der verschwendeten Energie der Raumbeleuchtung; Schuld an verschwendeten Sitzungsgeldern; (und am schwerwiegendsten) Schuld an der Unproduktivität der Institutsräte. Falls ich einmal Mitglied im Institutsrat wäre, würde ich Teile dieser Schuld unweigerlich auf mich laden (verschwendete Energie! ; die Sitzungsgelder würde ich sowieso nicht beantragen oder an jemanden spenden).

Falls ich einmal im Institutsrat wäre……..

Was würde ich machen?

Ich würde kämpfen wie die Gladiatoren von Rom! Aber wofür? Für das diffuse Meinungsbild der Studierenden? Für meine eigenen Überzeugungen? Für den Sieg der Vernunft? Für eine bessere Welt? Die Gladiatoren hatten als Ziel wenigstens das Erleben ihrer nächsten Mahlzeit. Das Erreichen meines nächsten Essen steht für mich hoffentlich außer Frage, auch wenn ich im Institutsrat wäre.

Also. Was treibt mich in den Institutsrat?

Ist es ein Stück Idealismus? Vielleicht finden sich dort doch Menschen zusammen, die gemeinsam etwas erreichen wollen (und nicht gegeneinander). Und im Jahre 2018 möchte ich nicht in irgendwelchen Konjunktivfloskeln versinken („Hätte ich dieses oder jenes gemacht.“), sondern will im gestochenen Perfekt sagen: „Das haben wir erreicht“.

Ist es ein Stück Egoismus? Im Institutsrat werden zuweilen Entscheidungen getroffen, die mich persönlich betreffen, sich auf mich auswirken. Und wenn sich etwas auf mich auswirkt, dann habe ich gerne Anteil daran, wie es sich auf mich auswirkt. Oder ich will zumindest wissen, wieso es sich so auf mich auswirkt und nicht anders. (Das war eine Wortspielerei mit dem Verb: Auswirken.)

Ist es ein Stück Zukunftssicherung (für mich)? Im Institutsrat lerne ich Menschen kennen und lernen mich Menschen kennen, die potentiell einmal über meine persönliche Zukunft zu entscheiden haben (so ich mich später in das bestehende universitäre System einpassen will). Auf diese Weise taucht meine Person ein kleines Stück aus der universitären Anonymität auf. Man fällt dann keine Entscheidung über einen Gegenstand mit der Bezeichnung „Emil Schneider“ (alle Emil Schneider, die sich direkt angesprochen fühlen, mögen mir verzeihen), sondern über einen Menschen mit Gesicht, mit einer Geschichte, mit Kontext. Es geht mir dabei nicht darum, mich beliebt zu machen (in der Regel passiert sowieso das Gegenteil). Es geht mir darum, erkannt zu werden, meinem Namen einen Inhalt zu geben. (Ich kann es zum Beispiel nicht leiden, wenn ich bei irgendwelchen Wahlen Namen wählen soll, mit denen ich nichts assoziiere; wenn ich nicht einmal weiß, ob sich hinter diesem Namen eine Katze, ein Schlumpf oder wirklich ein Mensch verbirgt.)

Inhalte? Wann immer mir ein studentisches Gremium einen Inhalt vorgibt, den ich im Institutsrat vertreten soll, dann werde ich ihn vertreten, ohne Rücksicht auf meine eigenen Überzeugungen. (Diese Inhalte dürfen natürlich gewisse ethische Grenzen nicht verlassen.) Ohne vorgegebenen Inhalt muß ich auf meine eigenen Überlegungen zurückgreifen. Wer mit meinen Überlegungen nicht einverstanden ist, sollte nicht zögern, mir die seinen/ihren zu nennen, und ich werde beide vorbringen und versuche beide zu vertreten.

Aber die meisten Studierenden werden mir sowieso nicht ihre Überlegungen schildern (Seufzt!). Die meisten werden keine anstellen (Seufzt!). Viele werden nicht wissen, daß ich im Institutsrat bin (..!). Und viele werden nicht einmal wissen, daß es einen Institutsrat gibt. Schlümpfe!

PS (ein Tag später nach erstmaligem Lesen des gesamten Textes):

Der Text liest sich ja wie ein Parteiprogamm. Wer mich ein wenig kennt, weiß, mit welcher Art von Zynismus dieser Text zu lesen ist. Wer mich nicht kennt, soll ihn ruhig ernst nehmen!